Autor
James C. Lin
USA
Herausgeber:
© 2023 Frontiers Media S.A.
Quelle: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpubh.2022.1042478/full
Veröffentlicht in:
Front. Public Health 10:1042478
Veröffentlicht: 06.02.2023
auf EMF:data seit 06.02.2023
Seitenzahl: 5
Format: A4
Schlagwörter zu dieser Dokumentation:
Fachartikel

Krebsentstehung durch die chronische Belastung mit hochfrequenter Strahlung.

Carcinogenesis from chronic exposure to radio-frequency radiation.

Originaltext

In den letzten Jahrzehnten hat die Beliebtheit mobiler Kommunikation exponentiell zugenommen und man geht davon aus, dass dies auch in absehbarer Zukunft so bleiben wird. Die Befriedigung der Nachfrage würde zwangsläufig zu einer höheren Exposition des Menschen gegenüber Mikrowellen- bzw. Hochfrequenzstrahlung führen. Abgesehen von ihrer primären Rolle als Träger, der die Kommunikationstechnologie ermöglicht, kann Hochfrequenz zusätzliche Auswirkungen besitzen, die wichtige Funktionen lebender Organismen beeinflussen können. Die dadurch verursachten biologischen Veränderungen würden sich in verschiedenen Bereichen manifestieren. Sie sind möglicherweise nicht sofort nach der Belastung erkennbar. In einigen Fällen könnten sie sich erst Jahre später äußern – die Veränderungen könnten sich Jahre bis Jahrzehnte nach wiederholter Belastung niedriger Intensität entwickeln. Die Auswertungen wissenschaftlicher Studien durch die IARC im Jahre 2011 führten zu dem Schluss, dass insbesondere Daten aus Tierversuchen unzureichend, epidemiologische Studien zu Gliomen und Akustikusneurinomen jedoch hinreichend robust sind, um eine Einstufung als möglicherweise krebserregend beim Menschen zu rechtfertigen. Vor kurzem haben zwei weitverbreitete Organisationen zum Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung, die ICNIRP und ICES, ihre Leitlinien und Standards überarbeitet. Diese Richtlinien zeigen ohne jeden Zweifel die feste Überzeugung dieser Organisationen, dass bei Hochfrequenz nichts als Hitze zu befürchten sei. Neben der Frage nach einer sicheren Langzeitexposition (nicht kürzer als 6 oder 30 Minuten) bleibt vor allem die Frage offen, wie es zu einer so unterschiedlichen Bewertung derselben wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die IARC auf der einen und ICNIRP und ICES auf der anderen Seite kommen kann. Der Autor des hier vorgestellten Ausblicks beendet seine Einleitung mit dem Satz „Scientists may not always be consistent, coherent, or as transparent as promoted“. In dem vorliegenden Artikel kritisiert der emeritierte Professor James Lin die überarbeiteten Richtlinien von ICNIRP und ICES und gibt einen Ausblick, wie seiner Meinung nach mit der Faktenlage rund um das Thema Krebs und Hochfrequenz verfahren werden sollte.

ElektrosmogReport 1-2023

Zunächst beleuchtet der Autor Tierversuche an Ratten zum Thema Karzinogenität bis 2016, bei denen die Befeldungsdauer mindestens 2 Jahre betrug. Unabhängig von Studiendesign, Qualität oder methodischen Schwächen berichten mehr Studien, dass keine krebserregende Wirkung beobachtet wurde. Ein auffälliger Mangel bestand laut Lin darin, dass bei vielen Studien keine adäquaten Käfigkontrollen vorlagen oder relevante Daten nicht in statistische Analysen einbezogen wurden. Dementsprechend stimmt er mit der Einschätzung der IARC zu dem damaligen Zeitpunkt überein. Diese Schwächen besaßen die großangelegten Studien des US NTP bzw. des Ramazzini Instituts jedoch nicht. Zwei vergleichbar gut durchgeführte Studien, welche denselben Rattenstamm verwendeten, zeigten übereinstimmende Ergebnisse in Form von signifikant erhöhtem Schwannomarisiko durch 3G-Mobilfunk.

Die überarbeiteten Richtlinien von ICES und ICNIRP bezeichnen diese Resultate als Zufallsprodukte bzw. führen sie auf eine Erhöhung der Körpertemperatur von bis zu 1 °C bei 0,1 W/kg zurück. Dies würde im Umkehrschluss allerdings auch bedeuten, dass eine Erhöhung der Körpertemperatur um 1 °C als vermeintlich krebserregend behandelt werden müsste. Auch Ergebnisse epidemiologischer Studien werden mit dem Argument abgeschmettert, dass diese Unstimmigkeiten und Einschränkungen, wie z.B. Erinnerungs- und Selektionsbias beinhalteten. Lin bezeichnet die Tendenz von Organisationen, Studien, welche Zusammenhänge finden, zu verunglimpfen und jene, welche keine Zusammenhänge finden, zu akzeptieren, als spürbar und besorgniserregend.

Der Autor merkt an, dass der in der NTP-Studie gewählte höchste SAR-Wert, bei dem eine erhöhte Karzinogenität bei Ratten festgestellt wurde, im Wesentlichen derselbe ist, wie der Wert, der von ICNIRP und ICES für ihre grundlegenden Beschränkungen gewählt wurde. Die NTP- bzw. Ramazzini-Studie komplementieren seiner Meinung nach die IARC-Bewertung der humanen epidemiologischen Studien und böten genug Substanz für eine Einstufung von Hochfrequenz als „wahrscheinlich krebserregend“. Er hält es für sinnvoll zu erwähnen, dass die derzeit zulässige Leistung für Mobiltelefone etwa 5 Größenordnungen höher ist als die eines Mobiltelefonprototyps, der 3,5 µW für Sprachanrufe benötigt, indem er Hintergrund-Hochfrequenz nutzt. Es sei absehbar, dass zukünftige Entwicklungen auch andere Telefonfunktionen, einschließlich Datenübertragung, über Hintergrund-Hochfrequenz bzw. „Energy Harvesting“ ermöglichen. Drahtlose Kommunikationstechnologie hat ihren direkten Nutzen für die Menschen in der modernen Gesellschaft gezeigt. Was jedoch ihre Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen betrifft, der unnötigerweise über einen langen Zeitraum, vielleicht sogar sein ganzes Leben, Hochfrequenz ausgesetzt ist, darüber steht das Urteil noch aus. Lin fordert einen Umgang mit Hochfrequenz nach dem Credo „as low as reasonably achievable“ – so niedrig wie vernünftigerweise realisierbar. (RH)