Autor(en):
Vornoli A*, Falcioni L, Mandrioli D, Bua L, Belpoggi F.
* Cesare Maltoni Cancer Research Center, Ramazzini Institute, Castello di Bentivoglio, via Saliceto 3, Bentivoglio, 40010 Bologna.
Italien
Veröffentlicht in:
Int. J. Environ. Res. Public Health 16, 3379
Veröffentlicht: 12.09.2019
auf EMF:data seit 02.12.2019
Weitere Veröffentlichungen:
Reviews/Übersichtsarbeiten
zur EMF:data Auswertung

Der Beitrag von In Vivo-Säugetierstudien zum Wissen über die negativen Auswirkungen hochfrequenter Strahlung auf die menschliche Gesundheit.

The Contribution of In Vivo Mammalian Studies to the Knowledge of Adverse Effects of Radiofrequency Radiation on Human Health.

Original Abstract

The proliferation of cellular antennas and other radiofrequency radiation (RFR) generating devices of the last decades has led to more and more concerns about the potential health effects from RFR exposure. Since the 2011 classification as a possible carcinogen by the International Agency for Research on Cancer (IARC), more experimental studies have been published that support a causal association between RFR exposure and health hazards. As regard cancer risk, two long-term experimental studies have been recently published by the US National Toxicology Program (NTP) and the Italian Ramazzini Institute (RI). Despite important experimental differences, both studies found statistically significant increases in the development of the same type of very rare glial malignant tumors. In addition to carcinogenicity, reproductive organs might be particularly exposed, as well as sensitive to RFR. In this work, we reviewed the currently available evidence from in vivo studies on carcinogenicity and reproductive toxicity studies in order to summarize the contribution of experimental research to the prevention of the adverse effects of RFR on human health.

Keywords

radiofrequency radiation | in vivo experimental studies | carcinogenicity | reproductive/developmental | toxicity

EMF:data Auswertung

Einleitung

Da die Nutzung von Mobiltelefonen für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung zu einem festen Bestandteil des täglichen Lebens geworden ist, erfolgte in den letzten zwei Jahrzehnten eine beispiellose Exposition gegenüber hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung. Folglich besteht ein zunehmendes öffentliches Interesse an den möglichen Gesundheitsrisiken, die sich aus der Mobilfunknutzung sowie der Belastung durch Basisstationen ergeben. Hochfrequente elektromagnetische Strahlung (HF-EMS) besitzt genug Energie, um Atome eines Moleküls zu bewegen bzw. zum Vibrieren anzuregen, jedoch nicht genug um Elektronen aus Atomen oder Molekülen zu entfernen. Deshalb wird HF-EMS als nicht-ionisierende Strahlung klassifiziert. Wichtige Eigenschaften von nicht-ionisierender Strahlung sind die Frequenz, Intensität sowie die spezifische Absorptionsrate, welche definiert ist als die Energieabsorption pro Gewichtseinheit von biologischem Gewebe. HF-EMS kann bei genügender Intensität Gewebe erwärmen, vergleichbar eines Mikrowellenherds. Die schädlichen Wirkungen von HF-EMS auf biologische Systeme werden oftmals in thermisch und nicht-thermisch unterteilt. Während thermische Wirkungen oftmals plausibel und leicht erklärbar sind (Gewebestress), sind Menschen normalerweise HF-EMS Intensitäten unterhalb der thermischen Intensität ausgesetzt. Obwohl einige Wissenschaftler die Fähigkeit von HF-EMS anzweifeln, nicht-thermische Auswirkungen zu besitzen, mehren sich Studien, die spezifische biologische Wirkungen beschreiben. Die hier vorgestellte Review (Übersichtsarbeit) erfasst den aktuellen Wissensstand über krebserregende sowie fortpflanzungseinschränkende Gefahren von HF-EMS, belegt durch experimentelle „in vivo“ (an Versuchstieren) Studien.

Quelle: ElektrosmogReport Dezember 2019 | 25. Jahrgang, Nr. 4

Studiendesign und Durchführung

Die Autoren analysierten die Ergebnisse von „peer-reviewed“ (durch Fachleute gegengeprüften) Studien, welche an Versuchstieren (in vivo) durchgeführt wurden. Bezüglich Karzinogenitätsstudien (potentiell krebserregende Eigenschaften) folgten die Autoren den Leitlinien der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und NTP. Unter anderem besagen die Leitlinien, dass (1) Jede Dosisgruppe und jeweilige Kontrollgruppe mindestens 50 Tiere jeden Geschlechts enthalten, (2) mindestens drei Dosierungen verwendet werden sowie Dosierungsperiode und Dauer der Studie mindestens 24 Monate betragen sollen. Lediglich Studien, die diese Kriterien erfüllten, fanden in dieser Review Beachtung. Auch bei den Fruchtbarkeitsstudien folgten die Autoren den Studienrichtlinien der OECD und NTP und ignorierten Studien, die die Kriterien nicht erfüllten.

Ergebnisse

Zunächst wurden die Karzinogenitätsstudien untersucht. Diese wurden, je nach verwendetem Modellorganismus, unterteilt: Ratten, Mäuse und „Andere“. In diesem Fall bedeutet „Andere“ transgene/tumoranfällige Tierstämme, welche die Auswirkungen von HF-EMS in einem ganz bestimmten Tumorkontext beleuchten. Insgesamt beleuchteten die Autoren im Tumorkontext 6 Studien an Ratten, 4 an Mäusen und 4 an tumoranfälligen Mäusen. Die Studien wurden zwischen 1982 und 2018 durchgeführt. 50% der jeweiligen Arbeiten (3 Ratten, 2 Mäuse, 2 tumoranfällige Mäuse) fanden erhöhte Tumorraten nach Bestrahlung. Anschließend widmeten sich die Autoren Studien, deren Fokus auf der möglichen Beeinträchtigung der männlichen Fruchtbarkeit lag. Hierbei lag der Studienzeitraum zwischen 2003 und 2019. 14 von 20 (70%) Studien an männlichen Ratten bestätigen signifikante Beeinträchtigungen durch Bestrahlung. Auch die Studien an Mäusen und Kaninchen bestätigen mit 4 von 4 (100%) bzw. 2 von 2 (100%) Beeinträchtigungen der männlichen Fruchtbarkeit. Studien zur weiblichen Fruchtbarkeit (zwischen 1983 und 2016) bestätigten bei Ratten in 5 von 11 Fällen (45%) eine Verschlechterung nach HF-EMF Belastung. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Studien zur weiblichen Fruchtbarkeit von Mäusen, hier waren 2 von 5 (40%) durch Bestrahlung beeinträchtigt.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse von Studien über das männliche Fortpflanzungssystem weisen darauf hin, dass Hochfrequenzstrahlung die männliche Fruchtbarkeit negativ beeinflussen kann. Erhöhtes Absterben von Spermien sowie verminderte Spermienqualität und –beweglichkeit seien häufig beobachtete Auswirkungen. Ebenso trete oxidativer Stress vermehrt auf, welcher hauptsächlich die Hodenkanälchen, Spermienvorläuferzellen und Leydig Zellen schädige. Die Daten der Studien über das weibliche Fortpflanzungssystem seien hingegen sehr unterschiedlich, inkonsistent durchgeführt und berichteten vor allem von unterschiedlichen spezifischen Ergebnissen. Dies führe dazu, dass es schwierig sei, einen Schluss aus dem momentanen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu ziehen. An den Krebsstudien, welche keine Auswirkungen von HF-EMS auf die Tumorgenese finden konnten, bemängeln die Autoren der Review das Studiendesign. Zu den Mängeln gehöre eine sehr kurze tägliche Bestrahlungsdauer, stark beengt gehaltene Versuchstiere oder zu niedrige Bestrahlungsintensitäten. Außerdem wären die gewählten Strahlungsdosen nicht gerechtfertigt und durch eine schlechte Dosimetrie gekennzeichnet, die das Wachstum der Tiere nicht berücksichtige. Auch bei Studien, welche erhöhte Tumorraten finden konnten, haben die Autoren Verbesserungsvorschläge. Die Versuche des NTP und Ramazzini-Instituts nutzen simulierte Signale durch Generatoren, anstatt die Signale realer Mobiltelefone oder Basisantennen. Die realen Signale seien wesentlich unvorhersehbarer, variabler und damit bioaktiver. Es scheint, als hätten lebende Organismen wesentlich schlechtere Schutzmechanismen vor diesen hochvariablen Umwelteinflüssen. Die Daten der NTP-Studien und des Ramazzini-Instituts könnten die möglicherweise schädigende Wirkung von Hochfrequenzstrahlung unterschätzen. (RH)