Strahlung wird im Allgemeinen als Übertragung von Energie in Form von Wellen oder Teilchen, durch den Raum beschrieben. Bei elektromagnetischer Strahlung reicht diese Energie nicht aus, um eine Ionisierung von Atomen oder Molekülen zu bewirken. Aus diesem Grunde wird elektromagnetische Strahlung als nicht-ionisierende Strahlung bezeichnet. Bis zum heutigen Tag konnten Wissenschaftler nicht einheitlich feststellen, ob diese Strahlung schädlich für den Menschen ist oder nicht. Das Ziel der hier vorgestellten Übersichtsarbeit (Review) ist es, die Auswirkungen von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern auf das Verhalten, insbesondere Lernen, Gedächtnis, Angst und Fortbewegung von Nagetieren zu bewerten.
Die Autoren durchsuchten elektronische Datenbanken wie PubMed nach Stichworten wie „Mobilfunkstrahlung“ „Angststörung“ „Fortbewegung“ „Gedächtnis-/Lernverhalten“ u.v.m., um relevante Publikationen herauszufiltern. Jeder Artikel, in dem verhaltensbezogene, histologische oder biochemische Entdeckungen bei Ratten und Mäusen diskutiert wurden, wurde als relevant erklärt. Artikel, welche Hochfrequenzwirkungen beim Menschen oder anderen Modellorganismen untersuchten, wurden ausgeschlossen. Die Autoren beschäftigten sich hauptsächlich mit der Analyse von Artikeln der letzten 10 Jahre, allerdings wurden auch einige ältere Publikationen auf Grund ihrer besonderen Relevanz verwendet.
Zunächst widmeten sich die Autoren Publikationen, welche Auswirkungen von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern auf das Lernverhalten bzw. das Gedächtnis beschrieben. Insgesamt wurden 25 Publikationen analysiert. Davon beschrieben 21 (84 %) Auswirkungen der Hochfrequenzstrahlung auf Lernverhalten und Gedächtnis. Unter anderem wurden Veränderungen des Gedächtnisses, Hyperaktivität, räumliches Gedächtnis, Beeinträchtigung der Blut-Hirn Schranke, Bewegungsaktivität, Degeneration von Neuronen (Nervenzellen), morphologische Veränderung des Hippocampus sowie des emotionalen Gedächtnisses beschrieben. Dabei waren nicht alle durch Hochfrequenz verursachten Veränderungen negativ. Teilweise konnte die kognitive Leistung von Versuchstieren verbessert werden. Im nächsten Schritt analysierten die Autoren Artikel, welche Angst bzw. Angststörungen bei den Versuchstieren dokumentierten. Um angstähnliches Verhalten in Tiermodellen untersuchen zu können, haben Forscher verschiedene Versuchsansätze entwickelt. Einige der häufig verwendeten Methoden um Angstverhalten in Tiermodellen testen zu können sind das „angehobene Plus-Labyrinth“ (elevated plus maze, EPM), der offene Feldtest sowie Schwarz-Weiß-Boxen. 11 von 12 (92 %) überprüften Publikationen beschrieben verändertes Angstverhalten als Folge von Hochfrequenzstrahlung. Auch das Bewegungsverhalten zeigt Auffälligkeiten nach Belastung mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern. 4 von 5 Studien (80 %) berichten von verminderter Bewegung der Versuchstiere nach Bestrahlung. Die Autoren der Übersichtsarbeit stellen drei mögliche, zu Grunde liegende Mechanismen dar, wie Hochfrequenzstrahlung die beobachtete Verhaltensänderungen verursacht haben könnte: a) strukturelle Veränderungen in verschiedenen Hirnregionen, b) Auswirkungen auf Gliazellen und c) Einfluss auf die Neurotransmitter verschiedener Hirnregionen. Bezüglich der strukturellen Veränderungen in verschiedenen Gehirnregionen ergab die Literaturrecherche der Autoren eine veränderte Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke. Diese stellt eine physiologische Barriere dar und schützt das Gehirn z.B. vor Krankheitserregern oder Giftstoffen. 7 von 9 beschriebenen Studien fanden Auswirkungen (erhöhte Durchlässigkeit) von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern auf die Bluthirnschranke (77%). Zwei der 7 Studien, welche Wirkungen bestätigen, sind jedoch aus den Jahren 1994 bzw. 1977 und gehören damit nicht mehr zu den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen (Anm. der Redaktion). Nach der Blut-Hirn-Schranke gerieten verschiedene Gehirnareale in den Fokus der Autoren. Publikationen, welche strukturelle Veränderungen nach Hochfrequenzbelastung im Hippocampus, der Großhirnrinde, dem Kleinhirn und der Amygdala dokumentierten, wurden untersucht. 27 von 28 aufgelisteten Studien (96 %) belegten Wirkungen der Hochfrequenzstrahlung. Dokumentierte Auswirkungen waren unter anderem neuronale Degenerationen, Neuronenverlust, pathologische Veränderungen des Gewebes, erhöhte Apoptose, deformierte Zellkerne und Störungen der Zellpopulationen. Es ist bekannt, dass nicht nur Neuronen, sondern auch Gliazellen im Hinblick auf Informationsverarbeitung eine wichtige Rolle spielen. Daher könnten Verhaltensänderungen von Versuchstieren auch durch die Schädigung von Gliazellen verursacht werden. Zwei von drei erwähnten Studien (67 %) zeigen Beeinträchtigungen der Gliazellen durch Hochfrequenzstrahlung. Verhalten wird auch durch das Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen und Neutransmitter gesteuert. Eine mögliche Wirkung von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern auf verschiedene Neurotransmitter in unterschiedlichen Hirnregionen ist demnach ebenfalls von großer Bedeutung. 5 von 5 in der Übersichtsarbeit erwähnten Studien zu diesem Thema zeigen Auswirkungen von Hochfrequenz auf Neurotransmitter. Dies betrifft unter anderem ein Ungleichgewicht von Aminosäuretransmittern und von Neurotransmittern des Thalamus, Hypothalamus und Striatum (Hirnregionen). Als mögliche grundlegende Mechanismen für die Beeinflussung des Gehirns und damit des Verhaltens durch hochfrequente elektromagnetische Felder, geben die Wissenschaftler Produktion von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS), Aktivierung apoptotischer Signalwege, DNA-Schädigungen sowie eine gestörte Kalzium Homöostase an.
Die Autoren der Übersichtsarbeit benennen eine Vielzahl von Studien, welche veränderte Verhaltensweisen in Nagetieren als Folge von Belastung mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern dokumentieren. Sie schließen nicht aus, dass die beobachteten Veränderungen des Verhaltens durch kombinierte Wirkungen verursacht werden, welche die Hochfrequenzstrahlung in verschiedenen Gehirnregionen hervorrufen könnte, wie:
1. Erhöhung der reaktiven Sauerstoffspezies und damit Schädigung der Zellmembran
2. Hervorrufen von DNA-Strangbrüchen und dadurch Apoptose durch reaktive Sauerstoffspezies
3. Ungleichgewicht in der Kalziumhomöostase und damit verbundene Remodellierung von Dendriten bzw. Zelltod
4. Zunahme von entzündlichen Prozessen mit anschließendem Zelltod (Nekrose)
5. Veränderte Physiologie von Gliazellen
6. Ungleichgewicht von Neurotransmittern in verschiedenen Hirnregionen
Laut den Autoren gehen die Sicherheitsempfehlungen für Mobiltelefone von der ausgesendeten Strahlung im Ruhezustand aus. Diese sei, im Gegensatz zum „Trägersignal“ (etwa bei eingehenden Anrufen) vernachlässigbar. Die Wissenschaftler warnen jedoch davor, die Ergebnisse direkt auf den Menschen zu übertragen. Sie fordern mehr Studien, besonders um die Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung auf gefährdete Gruppen wie z.B. Kinder besser abschätzen zu können. Im Angesicht des unkontrollierbaren Wachstums der Mobilfunktechnologie sei es höchste Zeit die gesundheitlichen Risiken dauerhafter und chronischer Belastung zu ermitteln. (RH)