Autor(en):
Lai H*, Levitt BB.
* Department of Bioengineering, University of Washington, Seattle, WA.
USA
Veröffentlicht in:
Rev Environ Health 2023 [im Druck]
Veröffentlicht: 07.04.2023
auf EMF:data seit 11.05.2023
Weitere Veröffentlichungen:
Schlagwörter zu dieser Studie:
(Oxidative) Stress-Reaktion
Reviews/Übersichtsarbeiten
zur EMF:data Auswertung

Zelluläre und molekulare Wirkungen von nicht-ionisierenden elektromagnetischen Feldern.

Cellular and molecular effects of non-ionizing electromagnetic fields.

Original Abstract

The way that living cells respond to non-ionizing electromagnetic fields (EMF), including static/extremely-low frequency and radiofrequency electromagnetic fields, fits the pattern of 'cellular stress response' - a mechanism manifest at the cellular level intended to preserve the entire organism. It is a set pattern of cellular and molecular responses to environmental stressors, such as heat, ionizing radiation, oxidation, etc. It is triggered by cellular macromolecular damage (in proteins, lipids, and DNA) with the goal of repairing and returning cell functions to homeostasis. The pattern is independent of the type of stressor encountered. It involves cell cycle arrest, induction of specific molecular mechanisms for repair, damage removal, cell proliferation, and cell death if damage is too great. This response could be triggered by EMF-induced alternation in oxidative processes in cells. The concept that biological response to EMF is a 'cellular stress response' explains many observed effects of EMF, such as nonlinear dose- and time-dependency, increased and decreased risks of cancer and neurodegenerative diseases, enhanced nerve regeneration, and bone healing. These responses could be either detrimental or beneficial to health, depending on the duration and intensity of the exposure, as well as specific aspects of the living organism being exposed. A corollary to electromagnetic hypersensitivity syndrome (EHS) could be an inappropriate response of the hippocampus/limbic system to EMF, involving glucocorticoids on the hypothalamic-pituitary-adrenal axis.

Keywords

cellular stress response | free radicals | hypothalamic-pituitary-adrenal axis | macromolecule damage and repair | non-ionizing electromagnetic fields (EMF)

Exposition:

EMF allgemein

EMF:data Auswertung

Einleitung

Wie lebende Zellen auf nicht-ionisierende elektromagnetische einschließlich statische Felder reagieren, kann man mit „zellulärer Stressreaktion“ (nach Martin Blank 2012) beschreiben – einem Mechanismus auf Zellebene, der den ganzen Organismus schützen soll. Stressoren sind Hitze, ionisierende Strahlung, Oxidation u. a., die die Makromoleküle (Proteine, Fette und DNA) schädigen und Reparaturvorgänge auslösen, um die Homöostase in den Zellen wiederherzustellen. Der Ablauf ist unabhängig von der Art des Stressors, auch elektromagnetische Felder können oxidative Prozesse verändern. Beteiligte Mechanismen sind: 1. Anhalten des Zellzyklus an den G1/S- und G2/M-Checkpoints, 2. Einleiten der Reparaturprozesse über Chaperone wie Hitzeschockproteine zur Proteinreparatur, Reparatur von Nukleinsäuren und Chromatin, 3. Entfernung von Zelltrümmern und 4. Einleiten der Apoptose, wenn Reparatur nicht möglich ist.

Die Bezeichnung „zelluläre Stressreaktion“ erklärt viele EMF-Wirkungen, wie nicht-lineare Dosis- und Zeitabhängigkeit, erhöhtes oder vermindertes Risiko für Krebs und neurodegenerative Erkrankungen oder gesteigerte Nervenregeneration und Knochenheilung. Die Wirkungen können schädlich oder nützlich sein, je nach Dauer und Intensität der Einwirkung. In der vorliegenden Studie werden die beiden Frequenzbereiche 0-300 Hz und 3 kHz-300 GHz behandelt, da sie die größte Bedeutung in unserer Umgebung haben. Hunderte von Studien widersprechen der Aussage, es gäbe außer elektrischem Schlag und Erwärmung des Gewebes keine biologischen Wirkungen. Vielmehr ist nachgewiesen, dass „zelluläre Stressreaktion“ durch EMF-bedingten oxidativen Stress auftritt, auch wenn wir die chemischen und elektrischen Aktivitäten von Lebewesen noch nicht ganz verstehen. Viele mögliche Schäden durch EMF laufen unbemerkt ab und können sich zu chronischen Erkrankungen entwickeln oder es entstehen mutierte Zellen, wenn Reparatur oder Apoptose nicht einsetzen. Der wahrscheinlichste Mechanismus, wie EMF oxidative Zellprozesse verursachen, ist die Radikalpaar-Bildung in empfänglichen Molekülen wie Cryptochromen in den Zellen. Hier werden einige Manifestationen durch „zelluläre Stressreaktion“ durch EMF beschrieben.

Oxidative Prozesse verändern Moleküle, was der Anstoß zur „zellulären Stressreaktion“ ist. Solche Veränderungen nach EMF-Wirkung sind oxidative Schädigung von Proteinen, DNA und Lipiden. Die beiden Autoren haben für diese Studie in 5 Anhängen Arbeiten zu statischen, nieder- und hochfrequenten Feldern aufgeführt. In Anhang 1 sind 190 Studien aufgeführt, Anhang 2 beinhaltet 24 Studien, in Anhang 3 sind 24 Studien zu Proteinreparatur/Hitzeschockproteinen (HSP), in Anhang 4 sind 48 Studien zu den Proteinen p53, NFκB und MAPK aufgelistet und Anhang 5 enthält 40 Arbeiten zu Caspasen, Apoptose und ROS/RNS. Oxidativer Stress durch EMF kann zum Anhalten des Zellzyklus führen.

Wenn Moleküle in den Zellen geschädigt werden, ist das Anhalten des Zellzyklus eine Sofortreaktion. Außer Hitzeschockproteinen (v. a. HSP60 und HSP70) reagieren Gene/Proteine wie Cyclin, p53, p21 u.a. Faktoren, daraufhin werden Reparaturprozesse in den Zellen eingeleitet. Zellstress, vor allem oxidativer Stress, kann zu falscher Proteinfaltung führen. Fehlgefaltete Proteine müssen abgebaut und beseitigt werden. Die Verklumpung von Protease-resistenten falsch gefalteten Proteine können Zelltod und Entwicklung von neurodegenerativen Erkrankungen verursachen. Andererseits können durch EMF falsch gefaltete Proteine repariert oder eliminiert werden und das Fortschreiten von einigen dieser Erkrankungen wird verlangsamt. Das Protein p53 reguliert den Zellzyklus und ist an DNA-Reparatur, Tumorsuppression und Apoptose beteiligt; es ist in vielen Krebszellen erhöht. Das Protein NFκB (nuclear factor 'kappa-light-chain-enhancer' of activated B-cells) wird aktiviert durch Stressoren und freie Radikale, ist ein Regulator für die Immunantwort bei Infektionen, beeinflusst Synapsen im Nervensystem und das Gedächtnis. Störungen können zu Krebs und Autoimmunerkrankungen führen.

Die MAPK oder MAP-Kinase (Mitogen-aktivierte Proteinkinase), die auch bei oxidativem Stress aktiviert wird, spielt eine Rolle bei osmotischem Stress und Hitzeschock, sie reguliert Zellwachstum, Genexpression, Differenzierung, Mitose, Zellerhaltung und Apoptose. Bei Fettstoffen (Lipiden) entsteht durch Einwirkung von EMF hauptsächlich die Peroxidation der Lipide in den Zellmembranen, wodurch neben der Durchlässigkeit auch andere Funktionen verändert werden, z. B. können Peroxidationsprodukte Mutationen und Änderungen der Genexpression hervorrufen. Die Reparatur dieser Lipid-Schäden kann durch Phospholipase und die vielfach belegte Aktivität der Glutathion-Peroxidase (Phospholipid-Hydroperoxid-Glutathion-Peroxidase) erfolgen. Schließlich kann die Apoptose durch Aktivierung der Caspasen einsetzen. Niederfrequente und hochfrequente Felder können all diese Prozesse bei jedem Schritt beeinflussen, zum Vor- oder Nachteil des gesamten Organismus.

„Zelluläre Stressreaktion“ können positiv wie negativ wirken

„Zelluläre Stressreaktion“, positive wie negative, können erhöhtes Krebsrisiko ebenso wie therapeutischer Nutzen der EMF genannt werden: EMFs können Tumorzellen zerstören, diese können aber auch entstehen bei sehr häufigem und/oder langzeitigem Einwirken. Auch für neurodegenerative Erkrankungen wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Alzheimer- und Parkinson-Krankheit gibt es ein erhöhtes Risiko (für letztere meist bei beruflicher Exposition). Aber auch vorteilhafte Wirkungen von EMF wurden gefunden, sie verbessern die Hirnleistung und erzielen positive chemische Veränderungen bei Alzheimer, Parkinson und Huntington. Weiterhin hat man Änderungen des Verhaltens (Erregung und Ängstlichkeit, Lernfähigkeit und Gedächtnis) festgestellt. Experimente zeigten einen Anstieg von Corticosteron und Cortisol bei Nagetieren und Menschen.

Das Auftreten von elektromagnetischer Hypersensitivität (EHS) kann eine unangemessene Reaktion des Stoffwechsels im Hippocampus bzw. limbischen Systems sein unter Beteiligung von Glucocorticoiden der HPA-Achse, induziert durch EMF-Stress. In der Evolution entstand die Fähigkeit, Intensität, Orientierung und Richtung des Erdmagnetfeldes zu fühlen, was wichtig für das Überleben aller Lebewesen ist. Verschiedene Mechanismen im Nervensystem haben wahrscheinlich bei verschiedenen Arten die gleiche Funktion. Bei Wirbeltieren, vor allem Säugetieren, bildet der Hippocampus im limbischen System die neuronale Struktur für Lernen und Gedächtnisbildung. Dort findet auch ein Teil der Wahrnehmung des Magnetfeldes und Angst, vor allem in Stresssituationen, statt. Eine weitere Ursache für EHS ist die Steigerung von Stickstoffmonoxid (NO); im limbischen System verursacht es Furcht, Depressionen und Ängstlichkeit. EHS-Personen haben vielleicht ein limbisches System mit höherer Empfindlichkeit auf NO und Glucocorticoide über die Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinde-Achse.

Quelle: ElektrosmogReport Mai 2023 | 29. Jahrgang, Nr. 2

Schlussfolgerungen

Leben ist auf der Basis des Erdmagnetfeldes entstanden. Diese Arbeit behandelt die Mechanismen, die schädliche und nützliche Wirkungen der EMF erklären können. Der Anstieg der vom Menschen gemachten künstlichen EMF ist sehr verschieden von den natürlichen Feldern, und sie stören die grundlegenden biologischen Mechanismen. Freie Radikale (reaktive Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle) spielen eine wichtige Rolle in Zellfunktionen. Künstliche elektromagnetische Felder können die Homöostase der freien Radikale stören und so zu Fehlfunktionen führen wie die „zelluläre Stressreaktion“. Die seit Jahrzehnten behauptete Aussage, es gebe keinen bekannten Mechanismus, diente dazu, die biologischen Wirkungen unterhalb der thermischen Schwelle zu leugnen und die Gesundheitspolitik daran zu hindern, Veränderungen herbeizuführen. (IW)