Die Blut-Hirn-Schranke (BHS) ist eine der robustesten Barrieren im menschlichen Körper mit hochselektiver Durchlässigkeit und gewährleistet die Trennung des zirkulierenden Bluts vom Gehirn. Die Aufgabe der BHS ist die Verhinderung des Eindringens von Makromolekülen, wie z.B. Pathogenen, bei Durchlässigkeit gegenüber Nährstoffen, wie z.B. Glucose. Die BHS wird von Endothelzellen der Hirnkapillaren unter der Beteiligung von „Tight-Junctions“ (TJ), Perizyten, Basalmembran und astrozytären Endfüßchen geformt. Die TJ stellen einen spezialisierten Zell-Zell-Kontakt dar, der eine wichtige Rolle bei der Steuerung der BHS-Permeabilität spielt. TJ werden aus Transmembranproteinen, zytoplasmatischen Haftproteinen und Proteinen des Zytoskeletts gebildet. Die BHS kann durch verschiedene endogene und exogene Einflüsse, wie z.B. Alterung oder Umweltbelastungen zusammenbrechen und damit schwere Erkrankungen des zentralen Nervensystems hervorrufen. Insbesondere elektromagnetische Strahlung erhält als Umwelteinfluss große Aufmerksamkeit, da die Bevölkerung durch technologischen Fortschritt zunehmend mit dieser Strahlung belastet wird. Es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass Elektromagnetische Impulse (EMP) in der Lage sind, die BHS zu beeinflussen. Es existieren jedoch wenig Studien über den Einfluss der EMP-Feldparameter auf die Permeabilität der BHS. Auch der Mechanismus der BHS-Beeinträchtigung ist zum jetzigen Zeitpunkt unverstanden. Die vorliegende Studie befasst sich mit dem Einfluss von EMP-Feldstärken auf die Öffnung der BHS am Rattenmodell.
Die Wissenschaftler befeldeten adulte männliche Sprague-Dawley-Ratten schein, mit 50, 100, 200 und 400 kV/m. Abgesehen von der Spitzen-Feldintensität waren die EMP-Parameter: Pulszahl n = 200, Pulsbreite τ = 200 ns bei einer Wiederholungsfrequenz von 1,0 Hz. Die Permabilität der BHS wurde mittels des fluoreszierenden Stoffes FITC-Dextran ermittelt, welcher mit unterschiedlichen Massen bzw. Größen verabreicht wurde: 4 kDa, 10 kDa, 20 kDA und 70 kDa. Das gesamte Experiment wurde verblindet durchgeführt. Die Autoren untersuchten die Gehirne transmissions- und fluoreszensmikroskopisch sowie immuno-gelelektrophoretisch.
In den Gehirnen der schein-befeldeten Tiere wurde nahezu kein FITC-Dextran gefunden. Im Gegensatz dazu wurde Dextran in unterschiedlichem Ausmaß im Parenchym der befeldeten Exemplare festgestellt. Dabei wurde eine Abhängigkeit zwischen Feldintensität und molekularer Masse des Dextrans festgestellt: die kleinen Tracer-Moleküle passierten die BHS auch bei niedrigen Feldstärken, die größeren Moleküle bei höheren Feldstärken. Die Ultrastruktur der BHS bestätigte diesen Befund. In intensitätsabhängiger Weise wurden die TJ erweitert, wobei die schein-befeldeten Exemplare physiologische TJ aufwiesen. Darüber hinaus verbreiterte sich mit zunehmender Feldintensität die kapillare Basalmembran, die Konturen wurden unscharf und die astrozytären Endfüßchen schwollen an. Die Expression der untersuchten TJ-Proteine ZO-1, Occludin und Claudin-5 war nach Befeldung nicht signifikant verändert. Bei 400 kV/m war jedoch ein abnehmender Trend im Vergleich zur scheinbefeldeten Gruppe festzustellen, welcher jedoch keine statistische Signifikanz erreichte.
Anhand der Leckage des Tracer-Moleküls FITC-Dextran ins Parenchym der Gehirne und der BHS-Ultrastruktur kann davon ausgegangen werden, dass EMP die BHS von Ratten durchlässig machen kann. Diese Ergebnisse stimmen mit früheren Studien überein. Bei derselben Feldintensität passierten kleine Dextran-Moleküle die BHS leichter als große, während die BHS für größere Moleküle erst bei höheren Feldintensitäten durchlässig wurde. Dabei beobachteten die Autoren eine annähernd lineare Beziehung. Laut den Wissenschaftlern deuten diese Phänomene auf eine enge Verknüpfung der BHS-Permeabilität mit den TJ hin. Die Expression der TJ-Proteine war bei der stärksten Feldintensität tendenziell rückläufig ohne statistische Signifikanz zu erreichen, was darauf hindeutet, dass die BHS nicht hauptsächlich durch die Expressionsniveaus der TJ-Proteine beeinträchtigt wird. Möglicherweise wird durch die EMP die Funktion der TJ gestört. Die Autoren spekulieren, dass EMP die Verbindung zwischen TJ-Proteinen beeinflussen und damit die BHS stören könnte. Da es sich bei Proteinen um geladene Moleküle handelt könne man rational daraus schließen, dass diese bei bestimmten Feldstärken in ihrer Position verändert werden. So ist bekannt, dass eine Dissoziation von ZO-1 aus dem TJ-Komplex zu einer erhöhten Permeabilität der BHS führen kann. Der genaue Grund für die Öffnung der TJ müsse zwar noch weiter erforscht werden, aber ihre Ergebnisse würden zum ersten Mal Hinweise auf diesen Mechanismus bei der EMP-induzierten Störung der BHS liefern, so die Wissenschaftler. (RH)