Autor(en):
Traini E*, Martens AL, Slottje P, Vermeulen RCH, Huss A.
* Utrecht University, Institute for Risk Assessment Sciences, Utrecht.
Niederlande
Veröffentlicht in:
Sci Total Environ 2023; 856 Pt 2: 159240
Veröffentlicht: 15.01.2023
auf EMF:data seit 12.02.2024
Weitere Veröffentlichungen:
Schlagwörter zu dieser Studie:
Elektrohypersensibilität (EHS)
Epidemiologische Studien
zur EMF:data Auswertung

Zeitlicher Verlauf von gesundheitliche Beschwerden, die auf HF-EMF-Exposition zurückgeführt werden, und Prädiktoren für Elektrosensibilität über 10 Jahre in einer prospektiven Kohorte mit niederländischen Erwachsenen.

Time course of health complaints attributed to RF-EMF exposure and predictors of electromagnetic hypersensitivity over 10 years in a prospective cohort of Dutch adults.

Original Abstract

Background: Some individuals attribute health complaints to radiofrequency electromagnetic field (RF-EMF) exposure. This condition, known as idiopathic environmental intolerance attributed to RF-EMFs (IEI-RF) or electromagnetic hypersensitivity (EHS), can be disabling for those who are affected. In this study we assessed factors related to developing, maintaining, or discarding IEI-RF over the course of 10 years, and predictors of developing EHS at follow-up using a targeted question without the condition of reporting health complaints attributed to RF-EMF exposure.

Methods: Participants (n = 892, mean age 50 at baseline, 52 % women) from the Dutch Occupational and Environmental Health Cohort Study AMIGO filled in questionnaires in 2011/2012 (T0), 2013 (T1), and 2021 (T4) where information pertaining to perceived RF-EMF exposure and risk, non-specific symptoms, sleep problems, IEI-RF, and EHS was collected. We fitted multi-state Markov models to represent how individuals transitioned between states ("yes", "no") of IEI-RF.

Results: At each time point, about 1 % of study participants reported health complaints that they attributed to RF-EMF exposure. While this percentage remained stable, the individuals who reported such complaints changed over time: of nine persons reporting health complaints at T0, only one reported IEI-RF at both T1 and T4, and two newly reported health complaints at T4. Overall, participants had a 95 % chance of transitioning from "yes" to "no" over a time course of 10 years, and a chance of 1 % of transitioning from "no" to "yes". Participants with high perceived RF-EMF exposure and risk had a general tendency to move more frequently between states.

Conclusions: We observed a low prevalence of IEI-RF in our population. Prevalence did not vary strongly over time but there was a strong aspect of change: over 10 years, there was a high probability of not attributing symptoms to RF-EMF exposure anymore. IEI-RF appears to be a more transient condition than previously assumed.

Keywords

Electromagnetic hypersensitivity (EHS) | Idiopathic environmental intolerance attributed to RF-EMFs (IEI-RF) | Radiofrequency electromagnetic fields (RF-EMFs)

Copyright © 2022 The Authors. Published by Elsevier B.V. All rights reserved.

Exposition:

HF allgemein

EMF:data Auswertung

Einleitung

Einige Personen führen gesundheitliche Beschwerden auf hochfrequente elektromagnetische Felder (HF-EMF) zurück. Dieser Zustand ist als idiopathische, auf hochfrequente EMF zurückzuführende Umweltintoleranz (IEI-HF) oder elektromagnetische Hypersensitivität (EHS) bekannt. IEI-EMF wird verwendet für Personen, die gesundheitliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Konzentrationsprobleme auf EMF-Exposition zurückführen. EHS für Personen, die angeben, überempfindlich gegenüber EMF zu sein, aber nicht unbedingt aktuell über Gesundheitsbeschwerden berichten. Möglicherweise sind IEI-EMF und EHS unterschiedliche Ausprägungen des gleichen Themas. Die diagnostischen Kriterien für diese Erkrankungen sind noch nicht vollständig festgelegt, und psychosoziale Faktoren spielen vermutlich auch eine Rolle. Die Begriffe IEI-EMF und EHS werden häufig synonym verwendet, was sich wahrscheinlich auf die Bandbreite der geschätzten Prävalenz auswirkt, die in Industrieländern zwischen 1,5 % und 21 % liegt. Interessanterweise wurde in einigen Studien ein ähnlicher Prozentsatz an IEI-EMF zu Beginn und bei der Nachuntersuchung Jahre später beobachtet, bei einer hohen Fluktuationsrate der als IEI-EMF eingestuften Teilnehmer. Dies bedeutet, dass die Zuordnung von Gesundheitsbeschwerden zur EMF-Exposition oft nur vorübergehend ist. Daher wäre es aufschlussreich, die Prädiktoren für das Auftreten und den Verlauf von IEI-EMF zu untersuchen.

Quelle: ElektrosmogReport Februar 2024 | 30. Jahrgang, Nr. 1

Studiendesign und Durchführung

Die Daten stammen aus der bevölkerungsbasierten prospektiven Arbeits- und Umweltgesundheits-Kohortenstudie (AMIGO, 2011, NL). AMIGO-Teilnehmer (n = 892, Durchschnittsalter 50 Jahre bei Studienbeginn, 52 % Frauen) füllten 2011 (T0), 2013 (T1) und 2021 (T4) Online-Fragebögen aus, in denen Informationen zur wahrgenommenen HF-EMF-Exposition und -Risiko, zu unspezifischen Symptomen, Schlafproblemen, IEI-HF und EHS erfasst wurden. Die Teilnehmer füllten zu Beginn der Studie (2011; T0) und im Jahr 2015 (T3) einen Online-Fragebogen aus. Eine Untergruppe von Teilnehmern, mit großen Unterschieden zwischen der wahrgenommenen und der geschätzten HF-EMF-Exposition, füllte 2013 (T1) und 2014 (T2) zwei zusätzliche Follow-up-Fragebögen aus.

Zu Beginn der Studie (T0, 2011) wurden folgende Fragen gestellt: "Haben Sie derzeit Gesundheitsbeschwerden, die Sie auf die Umwelt zurückführen" und "Wenn ja, auf welche Umweltfaktoren/-quellen?". Aus der Liste von Quellen wurden ausgewählt: (1) EMF von Mobilfunk-Basisstationen, Radio oder Fernsehen; (2) EMF von Mobiltelefonen; (3) EMF von Schnurlostelefonen; (mögliche Antworten "ja" oder "nein").

Zum Zeitpunkt T4 (2021) wurden die gleichen Fragen gestellt und aus der Liste von Quellen wurden ausgewählt: (1) EMF von Mobilfunk-Basisstationen, Radio oder Fernsehen; (2) EMF von Mobiltelefonen, Schnurlostelefonen und anderen drahtlosen Geräten (z.B. Laptop, Tablet); (3) EMF der 5G-Technologie.

Teilnehmer wurden zu jedem Zeitpunkt als IEI-HF betrachtet, wenn mindestens eine HF-EMF-Kategorie in den jeweiligen Fragebögen angekreuzt wurde. Die Autoren passten Markov-Modelle mit mehreren Zuständen an, um darzustellen, wie die Personen zwischen den Zuständen ("ja", "nein") des IEI-HF wechselten. Das Multi-Zustands-Markov-Modell ist eine Methode zur Beschreibung eines Prozesses, bei dem sich eine Person durch eine diskrete Reihe von Zuständen bewegt, wobei davon ausgegangen wird, dass den Daten ein kontinuierlicher Prozess zugrunde liegt.

Ergebnisse

Zu jedem Zeitpunkt berichteten etwa 1 % der Studienteilnehmer über gesundheitliche Beschwerden, die sie auf die HF-EMF-Exposition zurückführten. Während dieser Prozentsatz stabil blieb, veränderten sich die Personen, die solche Beschwerden angaben, im Laufe der Zeit. Die Wahrnehmung der HF-EMF-Belastung und -Risikos zeigte im Laufe der Zeit eine steigende Tendenz, mit etwa 5 % und 7 % der Teilnehmer, die bei T0 in die Gruppe mit hoher Wahrnehmung eingestuft wurden. Diese Werte stiegen bei T4 auf 20 % und 14 % an. 12 % der Befragten gaben bei T4 an, EHS zu haben, während der Prozentsatz der Personen, die IEI-HF angaben, geringer war und sich im Laufe der Zeit nicht wesentlich veränderte (zwischen 1,0 % bei T0 und 1,2 % bei T4). Von neun Befragten, die zu T0 einen IEI-HF angaben, gaben drei zu T4 immer noch dasselbe an, aber nur einer von ihnen gab sowohl zu T1 (2013) als auch zu T4 dasselbe an. Teilnehmer hatten eine 95 %ige Chance, über einen Zeitraum von 10 Jahren von "ja" zu "nein" zu wechseln (46 % in 2 Jahren), und eine 1-%ige Chance, von "nein" zu "ja" zu wechseln (0,6 % in 2 Jahren). Teilnehmer, die bei T0 eine hohe Wahrnehmung von HF-EMF-Exposition aufwiesen, hatten bei T4 eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, EHS zu haben (OR = 4,17, 95 % CI: 2,1–8,0). Ebenso auch bzgl. des HF-EMF-Risikos bei T0 (OR = 4,08, 95 % CI: 2,3–7,2).

Schlussfolgerungen

Die Autoren beobachteten eine niedrige Prävalenz von IEI-HF (~1 %). Jedoch gab es über 10 Jahre eine hohe Wahrscheinlichkeit (95%), dass die Symptome nicht mehr auf die HF-EMF-Exposition zurückzuführen waren, und eine 1-%ige Wahrscheinlichkeit, dass diejenigen, die dies zu Beginn der Studie nicht taten, eine solche Zuschreibung erhielten. IEI-HF scheint öfters ein vorübergehenderer Zustand zu sein als bisher angenommen.

Ein Schwachpunkt dieser Studie ist, dass es nicht möglich war, die tatsächliche Exposition zu messen. Eine frühere Studie zeigte, dass nur eine Minderheit der Teilnehmer, die gesundheitliche Beschwerden auf HF-EMF-Exposition zurückführten (27 %), nach einem Jahr die gleiche Erklärung abgaben. Eine deutsche Studie ergab einen Anteil von 31 %. Diese Ergebnisse stimmen mit dem überein, was hier gefunden wurde, nämlich eine starke Umwälzung in der Bevölkerung, die über Symptome berichtet, die auf die HF-EMF-Exposition zurückgeführt werde. Die Prävalenz von EHS sowie von IEI-HF und IEI-EMF in der Allgemeinbevölkerung ist unsicher. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Teilnehmer die Begriffe „IEI-HF“ und „EHS“ unterschiedlich interpretierten, was darauf hindeutet, dass künftige Studien ihre Erhebungen und Fragebögen sorgfältig gestalten sollten (da ungenaue Einordnung der Teilnehmer trotz bester Statistik zu unklaren Befunden führt – „garbage in, garbage out“, Anmerkung der Redaktion). Der Unterschied in der geschätzten Prävalenz von EHS (12%) und IEI-HF (1%) sollte mit Vorsicht interpretiert werden.

Es wurden drei Hauptwege zur Erklärung der Ursachen von EHS oder IEI-HF vorgeschlagen: Der erste, biologische Weg beschreibt, dass die HF-EMF-Exposition der Teilnehmer Symptome verursacht. Damit die Symptome verschwinden, müsste die Exposition vermutlich verringert werden (falls es keine Anpassung gibt, Anm. der Red.). Die tatsächliche HF-EMF-Exposition der Teilnehmer im Laufe der Zeit wurde nicht gemessen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Exposition in erster Linie durch die Nutzung von Geräten bestimmt wird, insbesondere das Mobiltelefon. Personen, die Symptome zu T0, aber nicht zu T4, auf die HF-EMF-Exposition zurückführten, gaben jedoch zu T4 tendenziell eine höhere Expositionswahrnehmung an als zu den beiden vorherigen Zeitpunkten, was nicht zu diesem hypothetischen Muster passt.

Zweitens geht der kognitive Weg davon aus, dass wahrgenommene Belastung und Risiko eine Nocebo-Reaktion auslösen, die zu Symptomen führt. Es gibt zahlreiche experimentelle Belege für Nocebo-Effekte, obwohl das Andauern selten untersucht wurde. In dieser Studie waren Teilnehmer mit einer höheren Risiko- und Expositionswahrnehmung eher geneigt, Symptome zuzuordnen, was darauf

hindeutet, dass Nocebo-Effekte relevant sein könnten. Eine kürzlich durchgeführte qualitative Studie an IEI-EMF-Teilnehmern ergab jedoch, dass Symptomberichte der Wahrnehmung des EMF-Risikos vorausgingen, was dem kognitiven Pfad widerspricht.

Als dritter hypothetischer Pfad könnten Symptome fälschlicherweise der HF-EMF-Exposition zugeschrieben werden, z. B. um Gesundheitsprobleme unbekannter Ätiologie zu erklären (Attributionshypothese). Die Prävalenz des Berichtens unspezifischer Symptome lag bei 91 % der Teilnehmer oder mehr, was darauf hindeutet, dass es sich bei den (etwas seltsamen) Befunden dieser Studie möglicherweise um eine Fehlzuweisung handelt (ob seitens der Teilnehmer oder seitens der Forscher, sei dahingestellt, Anm. der Redaktion). (AT)