Autor(en):
Bodin R*, Godin L, Mougin C, Lecomte A, Larrigaldie V, Feat-Vetel J et al.
* PERITOX Laboratory (UMR_I 01), UPJV/INERIS INERIS, MIV/TEAM, Verneuil-en-Halatte France University of Picardie Jules Verne, CURS, Amiens.
Frankreich
Veröffentlicht in:
Neurotoxicology 2025; 111: 103312
Veröffentlicht: 02.09.2025
auf EMF:data seit 09.10.2025
Weitere Veröffentlichungen: Studie gefördert durch:

French Ministry of Ecology Program 190.

Medizinische/biologische Studien
zur EMF:data Auswertung

Veränderte Entwicklung in Gehirn-Zellen von Nagetieren nach hochfrequenter 900-MHz-Exposition.

Altered development in rodent brain cells after 900 MHz radiofrequency exposure.

Original Abstract

Health risks related to 900 MHz 2 G frequency exposure remain inconclusive under current regulatory standards. Research into potential long-term effects is ongoing, particularly as the use of mobile networks and wireless devices increases. This study investigates the effects of non-thermal exposure levels of mobile phone 900 MHz radiofrequency electromagnetic field (RF-EMF) on rodent neurodevelopment. In vivo, the effects of pre- and post-natal 0.08 and 0.4 W/kg specific absorption rate (SAR) exposure were assessed for their impact on the proteomic profile at postnatal day 0 (PND 0). Brain-derived neurotrophic factor (BDNF), BrdU+ proliferative cells, synaptogenesis, and oxidative stress in the hippocampus and cortex of rat pups were studied at PND 8 and PND 17. Effects of the lowest SAR (0.08 W/kg) were assessed in vitro to afford mechanistic data regarding neural stem cells (NSCs) differentiation. In vivo results showed a decrease in BDNF level and BrdU+ proliferative cells with a decrease in synapse balance (excitatory synapses/inhibitory synapses). In vitro, at 0.08 W/kg there was an increase in Ki-67 + proliferative cells, apoptosis, and double-strand DNA breaks in NSCs. A lower ratio of B1 cells (primary progenitors of NSCs) among total cerebral cells and a higher ratio of oligodendrocyte progenitor cells and astrocytes were observed in the exposed NSCs. Our findings suggest that key cellular events for brain ontogenesis are likely to undergo changes with RF-EMF 900 MHz exposure during early development. These support the hypothesis that the developing central nervous system is vulnerable to RF-EMF exposures in rodents at regulatory thresholds.

Keywords

Radiofrequency fields | Proliferation | Synaptogenesis | Neuroproteomics | Neurodevelopment |Neurotoxicology | Stem cells

Exposition:

900 MHz
SAR: 0,08; 0,4 W/kg

EMF:data Auswertung

Einleitung

Obwohl die Grenzwerte für hochfrequente Mobilfunkstrahlung durch die ICNIRP definiert sind (0,08 W/kg für die Allgemeinbevölkerung, 0,4 W/kg für beruflich exponierte Individuen) ist unklar, ob diese Grenzwerte wirklich schützen. Frühere Studien liefern Hinweise, dass eine Befeldung mit vergleichbaren Stärken oxidativen Stress und verändertes Wachstum in Nagetieren hervorrufen kann. Insbesondere während sensibler Entwicklungsphasen könnten bereits bei diesen Schwellenwerten biologische Wirkungen auftreten. Das Ziel der vorliegenden Studie war es daher, sowohl in vivo als auch in vitro, am Rattenmodell die Auswirkungen von 2G-Mobilfunk auf das sich entwickelnde Gehirn zu untersuchen. Dabei wurden die oben genannten ICNIRP-Grenzwerte eingehalten. Während der Gehirnentwicklung von Ratten werden die meisten Synapsen zwischen dem Tag nach Geburt (postnataler Tag, PNT, 0) und dem PNT 21 gebildet, wobei die Synaptogenese (Synapsenneubildung) während des PNT 14 ihren Höhepunkt erreicht. Bei menschlichen Kindern wird dieser Höhepunkt im Alter zwischen 1 und 2 Jahren erreicht. Im Fokus der Untersuchung lagen proteomische Veränderungen sowie zelluläre Parameter wie Proliferation, Synaptogenese und Differenzierung neuronaler Zellen.

Quelle: Redaktion ElektrosmogReport

Studiendesign und Durchführung

Die später untersuchten männlichen Spraque Dawley Ratten wurden bereits intrauterin ab dem 8. Gestationstag bis maximal zum 17. postnatalen Tag befeldet. Die 900-MHz-Befeldung wurde entweder mit den öffentlichen Grenzwerten (30,2 V/m; Ganzkörper SAR: 0,08 W/kg) oder beruflichen Grenzwerten (67,5 V/m; Ganzkörper SAR: 0,4 W/kg) durchgeführt. Die Kontrollen wurden scheinbefeldet. Insgesamt wurden n = 9 Kontrolltiere und jeweils n = 8 befeldete Tiere bestrahlt. Untersuchte Endpunkte waren proteomische Analysen des Hippocampus und Kortex direkt nach der Geburt, sowie Quantifizierung des Wachstumsfaktors BDNF (brain-derived neurotrophic factor, essenziell für Bestand und Entwicklung von Nervenzellen und Synapsen, involviert in Gedächtnisprozessen) Zellproliferation, Synapsenanzahl und deren erregendes-inhibitorisches-Gleichgewicht und oxidative Stressmarker im Hippocampus und Kortex an den PNT 8 und 17. (Aufgrund der unterschiedlichen Zeitpunkte, schwankte die Anzahl der Versuchstiere, die für die jeweilige Endpunktanalyse zur Verfügung stand zwischen n = 3 und n = 9, Anm. d. Red.) Diese in vivo Untersuchungen wurden von in vitro Analysen neuronaler Stammzellen ergänzt. Diese wurden über 3 oder 7 Tage mit 900 MHz und 0,08 W/kg befeldet. Die Wissenschaftler bewerteten Zelldifferenzierung, Zellproliferation und DNA-Schädigung.

Ergebnisse

Die Proteomanalyse am PNT 0 identifizierte 10 unterschiedlich exprimierte Proteine der befeldeten Gruppen im Vergleich zur scheinbefeldeten Kontrollgruppe. Hierbei waren vor allem Proteine betroffen, die mit Synapsenbildung und Zellwachstum assoziiert sind. Im Hippocampus der befeldeten Jungtiere wurde eine signifikante Abnahme der Synapsenanzahl an PNT 8 festgestellt. Auch das Verhältnis erregender zu inhibitorischer Synapsen verschob sich bei beiden befeldeten Gruppen signifikant in Richtung inhibitorischer Synapsen. Beide Wirkungen nivellierten sich bis PNT 17. Im Kortex gab es keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Synapsenanzahl, das Verhältnis war jedoch an PNT 17 bei der stärker befeldeten Gruppe signifkant verändert. Im Kortex, nicht jedoch im Hippocampus, wurden signifikant weniger proliferierende Zellen an PNT 8 und eine signifikante Abnahme des BDNF-Spiegels an PNT 17 festgestellt. Die Untersuchung der oxidativen Stressmarker zeigte keine signifikanten Veränderungen. In vitro traten signifikant mehr apoptotische Zellen, proliferierende Zellen und DNA-Doppelstrangbrüche auf. Zudem kam es zu einer statistisch signifikanten Veränderung des Differenzierungsmusters der neurologischen Stammzellen.

Schlussfolgerungen

Die Daten der Studie weisen darauf hin, dass selbst Expositionen im Bereich der regulatorischen Grenzwerte für die breite Bevölkerung die Hirnentwicklung negativ beeinflussen können. Zu diesen Veränderungen zählen verminderte Zellproliferation, BDNF-Spiegel und Synapsenbildung in vivo sowie veränderte Differenzierung neuronaler Stammzellen in vitro. Die Autoren stellen die Hypothese auf, dass der erhöhte Anteil inhibitorischer Synapsen auf eine erhöhte neuronale Erregbarkeit des Organismus zurückzuführen sein könnte. Veränderungen dieses Equilibriums sind mit neuronalen Entwicklungsstörungen, wie z. B. Autismus-Spektuktrum-Störung assoziiert. Zusammengefasst sehen die Wissenschaftler die Hypothese bestätigt, dass der sich entwickelnde Organismus anfällig gegenüber hochfrequenter Mobilfunkstrahlung ist. Sie empfehlen Vorsicht beim Umgang mit drahtlosen Kommunikationsgeräten, insbesondere bei Schwangeren und Kleinkindern walten zu lassen.

Anmerkungen der Redaktion:

Das Studiendesign überzeugt durch eine Kombination von in vivo und in vitro Experimenten und einem multimodalen Ansatz: Proteomik, Immunohistochemie und funktionelle Analysen. Die Bedeutung der Studie gewinnt auch durch die Verwendung sehr niedriger Feldstärken, innerhalb regulatorischer Grenzwerte für die breite Bevölkerung, an Gewicht. Es bestehen jedoch auch Kritikpunkte, wie die geringe Anzahl an Versuchstieren, welche zusätzlich in Abhängigkeit der untersuchten Endpunkte schwankte. Die gewählten Untersuchungszeitpunkte sind hinsichtlich der neuronalen Entwicklung klug gewählt, eine Untersuchung im adulten Alter wäre jedoch wünschenswert gewesen, um persistierende funktionelle Konsequenzen analysieren zu können. Wie bei jedem Tiermodell stellt sich auch hier wieder die Frage der Übertragbarkeit auf den Menschen. Die zu bewertenden Daten sprechen jedoch dafür, dass regulatorische Grenzwerte nicht in allen Entwicklungsphasen als unbedenklich gelten dürfen. (RH)