Autor(en):
Singh A*, Singh N, Jindal T, Rosado-Muñoz A, Dutta MK.
* Bharti School of Telecommunication Technology and Management, Indian Institute of Technology, Delhi.
Indien
Veröffentlicht in:
Biomedical Signal Processing and Control, Elsevier, 2020, 57, 101821
Veröffentlicht: 01.03.2020
auf EMF:data seit 25.05.2021
Weitere Veröffentlichungen:
Schlagwörter zu dieser Studie:
Sonstige Wirkungen auf das Gehirn
Medizinische/biologische Studien
zur EMF:data Auswertung

Pilotstudie zur automatischen Identifizierung der Wirkung von EMF-Strahlung auf das Gehirn mit Hilfe von Computer-Sicht und maschinellem Lernen.

A novel pilot study of automatic identification of EMF radiation effect on brain using computer vision and machine learning.
Exposition:

2400 MHz
29 mW/m²
Exponiertes System:
Drosophila melanogaster

EMF:data Auswertung

Einleitung

Singh & Singh haben eine neue computergestützte Methode entwickelt, um Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern (EMF) auf Insekten (Drosophila) zu identifizieren. Die Autoren geben an, dass vielfältige Experimente an Ratten negative Auswirkungen von EMFs auf die Morphologie sowie Zellarchitektur verschiedener Gehirnstrukturen aufzeigen konnten. Exposition zu EMFs könnte zu neurologischen Veränderungen führen, die wiederum morphologische, chemische oder elektrische Eigenschaften des Nervensystems stören. Die Analyse der Auswirkungen auf Zellebene ist jedoch ein teurer und zeitaufwändiger Prozess. Das hierfür notwendige Arbeiten mit Insektengehirnen ist sehr störanfällig, da exakt verdünnte Zellsuspensionen hergestellt werden müssen. Deshalb haben die Autoren überlegt, dass es von Vorteil wäre, aus hochauflösenden Mikroskop Bildern sofort auf Anomalien des Gehirns schließen zu können. Sie haben eine Methode der computergestützten automatischen Klassifizierung von Mikroskop-Bildern des Gehirns ausgearbeitet. Mit dieser Vorgehensweise konnte eine Genauigkeit von 94,66 % im richtigen Zuweisen der Bilder (bestrahlt oder unbestrahlt) erzielt werden, obschon mit dem bloßen Auge (unter dem Mikroskop) keine Unterschiede erkennbar waren.

Quelle: ElektrosmogReport Juni 2021 | 27. Jahrgang, Nr. 2

Studiendesign und Durchführung

Drosophila wurden während 5 Tagen mit einer 2.400-MHz-Hornantenne bei etwa 29 mW/m² bestrahlt, 12 Stunden täglich. Anschließend wurden die Fliegen getötet und die Gehirne unter dem Mikroskop seziert. Die Gehirne wurden mit einer Mikroskopkamera Magcam DC5 (5.1 MP) aufgezeichnet, in 1944 x 2592 Pixel Auflösung. Die Bilder wurden nun auf verschiedene Weise bearbeitet, und eine Reihe von Bilderkennungsverfahren angewandt, die auf dem „machine learning“ Paradigma beruhen – also Programme, die lernfähig sind und sich von selbst an besondere Aufgaben im Laufe der Zeit so anpassen können, dass bessere Ergebnisse erzielt werden.

Ergebnisse

Analyse der Bilder in RGB-Farben (Rot-Grün-Blau) war ergebnislos. Die Bilder wurden nun in HSV- und LAB-Farben konvertiert. Hier erwies sich die „lightness“-Komponente des LAB-Bildes, was der Helligkeit einzelner Bildpunkte entspricht, als maximal unterschiedlich zwischen den Bildern verschiedener Drosophila-Gehirne. Anhand kontrasterhöhter LAB-Bilder wurde nun eine Computer-Sicht-Methode angewandt („feature selection“), die 8 geometrische Parameter aus jedem Bild extrahierte: Fläche, Umlauf, Exzentrizität, äquivalenter Durchmesser, eulersche Zahl, konvexe Fläche, Solidität und Ausmaß. Von diesen 8 wiesen nur 2 deutliche und statistisch robuste Unterschiede zwischen bestrahlten und unbestrahlten Gehirnen auf: die Exzentrizität – ein Maß für die Gleichmäßigkeit der Form, sowie die eulersche Zahl – ein Maß für die „Löcherigkeit“ resp. Gleichmäßigkeit der Fläche. 4 Verfahren der automatischen Erkennung und Klassifizierung von Bildern wurden nun trainiert mit einer Datenbank aus 155 Bildern von Drosophila-Gehirnen (66 davon EMF-exponiert), mit oder ohne „feature selection“ (Merkmalsauswahl). Diese 4 Klassifizierungs-verfahren wurden verwendet: Support vector machine (SVM), Naïve Bayes (NB), Artificial Neural Network (ANN) und Random Forest (RF). Von diesen 4 erzielte SVM die höchste Genauigkeit im korrekten Unterscheiden von bestrahlten und unbestrahlten Gehirnen: 76% Genauigkeit ohne feature selection, 94,66% mit feature selection.

Schlussfolgerungen

Die Autoren dieser Pilotstudie haben eine neuartige Methode zur automatischen Identifizierung von EMF-bedingten Veränderungen der Gehirnmorphologie erarbeitet. „Ein auf Computer-Sicht basierender maschineller Lernalgorithmus wurde für die Klassifizierung von EMF-exponierten / nicht-exponierten Drosophila-Gehirnen verwendet. Geometrische Merkmale, die aus dem Gehirnbild extrahiert wurden, sind wichtig, um Veränderungen in der Morphologie des Drosophila-Gehirns zu erkennen. Die experimentellen Ergebnisse zeigen, dass alle vier Klassifikatoren eine gute Genauigkeit liefern, wenn Unterscheidungsmerkmale verwendet werden, die durch die Merkmalsauswahlmethode ausgewählt wurden. Die höchste Klassifizierungsgenauigkeit beträgt 94,66 % bei Verwendung des Support-Vector-Machine-Klassifikators.“ Die benötigte Rechenzeit für die Segmentierung des Gehirnbereichs und die Extraktion der geometrischen Merkmale aus den segmentierten Gehirnbildern betrug ungefähr 2 Sekunden pro Bild. Die zufriedenstellenden Ergebnisse dieser Pilotstudie lassen auf vielfältige Anwendungen im Erforschen der Auswirkungen elektromagnetischer Felder und anderer schädlicher Einflüsse hoffen. Ein Vorteil im Vergleich zu zellanalytischen Methoden ist, dass nur wenig spezialisierte Instrumente oder Vorrichtungen benötigt sind – im Prinzip reicht ein gutes Mikroskop mit Digitalkamera, und sobald die Bilderkennung kalibriert und optimiert worden ist, liefert die Software in wenigen Sekunden genaue Bewertungen der Gehirnmorphologie. Die Standardmethoden bei der Messung schädlicher Auswirkungen von EMFs, wie z.B. das Messen von DNA-Strangbrüchen und Parameter von erhöhtem oxidativem Stress, bedürfen zeitaufwändiger und kostenintensiver Labormethoden. Die hier erstmals vorgeführte Methode kann vermutlich zur automatischen Klassifizierung von Mikroskop-Bildern von Insekten und Pflanzen allgemein genutzt werden. Veränderungen der Morphologie oder Zellarchitektur sind normalerweise Indikatoren für schwerwiegende Störungen bzw. schädliche Auswirkungen. Die Methodik, die in dieser Studie insbesondere eine erhöhte Unordnung in der Form und „Löcherigkeit“ der Oberfläche des Gehirns als Unterscheidungskriterien identifiziert hat, kann vermutlich noch optimiert werden für verschiedene Stufen der Mikrostruktur. Zusätzliche Grundlagenforschung ist notwendig, um die Gründe und Auswirkungen der hier beobachteten veränderten Gehirnmorphologie zu verstehen. (AT)