Autor(en):
England SJ*, Robert D.
* School of Biological Sciences, Faculty of Life Sciences, University of Bristol, Bristol BS8 1TQ.
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland
Veröffentlicht in:
Proc Natl Acad Sci USA 2024; 121 (23): e2322674121
Veröffentlicht: 20.05.2024
auf EMF:data seit 12.08.2024
Weitere Veröffentlichungen:
Schlagwörter zu dieser Studie:
Wirkung auf Tiere
Medizinische/biologische Studien
zur EMF:data Auswertung

Beutetiere können Raubtiere durch Elektrorezeption in der Luft aufspüren.

Prey can detect predators via electroreception in air.

Original Abstract

Predators and prey benefit from detecting sensory cues of each other's presence. As they move through their environment, terrestrial animals accumulate electrostatic charge. Because electric charges exert forces at a distance, a prey animal could conceivably sense electrical forces to detect an approaching predator. Here, we report such a case of a terrestrial animal detecting its predators by electroreception. We show that predatory wasps are charged, thus emit electric fields, and that caterpillars respond to such fields with defensive behaviors. Furthermore, the mechanosensory setae of caterpillars are deflected by these electrostatic forces and are tuned to the wingbeat frequency of their insect predators. This ability unveils a dimension of the sensory interactions between prey and predators and is likely widespread among terrestrial animals.

Keywords

caterpillars | electrostatics | predator–prey interactions | sensory ecology | wasps

Exposition:

elektrisches Feld

EMF:data Auswertung

Einleitung

Das Räuber-Beute-Verhältnis ist eine Abfolge von Leben und Tod und wesentlicher Treiber der Evolution, deshalb ist es von Vorteil, wenn sich Räuber und Beute gleichermaßen in ihrem Gebiet gegenseitig erfassen können. Landlebende Tiere und Pflanzen sind praktisch immer elektrisch geladen und diese elektrischen Ladungen werden in die Umgebung abgegeben. Tiere laden sich elektrostatisch auf, wenn sie sich durch die Landschaft bewegen. Diese elektrischen Kräfte können möglicherweise aus einer gewissen Entfernung von den Raub- und Beutetieren räumlich und zeitlich entdeckt werden. Hier wird der Fall von landlebenden Beutetieren beschrieben, die ihren Räuber elektrostatisch wahrnehmen (Elektrorezeption, die bei Honigbienen gut bekannt ist). Die räuberischen Wespen sind geladen, die Raupen als Beute empfangen diese Felder und reagieren mit Abwehrverhalten. Für dieses Experiment wurden verschiedene Techniken entwickelt, um das elektrostatische Wechselspiel zwischen fliegenden Insekten und Raupen von 3 Schmetterlingsarten genauer untersuchen zu können. Gemessen wurden die elektrischen Ladungen der Tiere und das Verhalten der Beutetiere.

Quelle: ElektrosmogReport August 2024 | 30. Jahrgang, Nr. 3

Studiendesign und Durchführung

Raupen der Schmetterlinge Pfauenauge (Aglais io, n=44) und Jakobskrautbär (Tyria jacobaeae, n=28) wurden in verschiedenen Bereichen im Freien um Bristol und Bitton in Großbritannien gesammelt und in Käfigen mit den entsprechenden Futterpflanzen gehalten. Ein seltener Nachtfalter, eine Spinner-Art (Telochurus recens, n=38), wurde gekauft. Alle Raupen kamen zunächst in ein elektrisch und akustisch abgeschirmtes Gehege, um jede Gewöhnung an diese Einflüsse zu vermeiden. Anschließend wurden sie in Gruppen aufgeteilt. Die Wespen (Vespula vulgaris, n=612) wurden an den Wurzeln eines gefallenen Baumes in einem Waldstück in der Nähe von Bristol zwischen dem 20. und 26. August 2020 gesammelt, ein einziges Individuum diente zur Bestimmung der Art. Zur Bestimmung der elektrischen Ladung der Wespen war eine Ringelektrode vor dem Eingang des Nestes aufgestellt, so dass jede Wespe beim Ein- oder Ausflug erfasst wurde. Auf ähnliche Weise wurden die Ladungen der Beutetiere gemessen, indem die auf ihren Futterpflanzen sitzenden Raupen abgenommen und durch den Sensor fallen gelassen wurden. Die elektrischen Ladungen der Schmetterlingsraupen wurden im Labor in picoCoulomb (pC) gemessen. Für die Verhaltensexperimente mit T. jacobaeae und T. recens kam ein Gerät zum Einsatz, das das elektrische Feld der Wespen im Flug aussendet (Flügelschlagfrequenz 180 Hz). Die Beute erfasst die Stärke des elektrischen Feldes je nach Entfernung des Räubers. Die Raupen von T. jacobaeae und T. recens reagieren auf die Gefahr mit einrollen, und sie strecken sich wieder, wenn die Gefahr vorüber ist und beginnen zu laufen. Im Test wurde die Zeit aufgezeichnet, die jede Raupe brauchte, sich zu entrollen und loszulaufen. Die Raupen von A. io reagieren mit anderer Abwehr, sie klettern, schlagen um sich und beißen in die Elektrode. Für die Aufklärung der zuständigen Strukturen für den Mechanismus der Elektrorezeption kam Elektronenmikroskopie zum Einsatz. Verschiedene Borsten kamen dafür in Frage. In den Tests auf die elektromechanischen Reaktionen der Borsten von T. jacobaeae und T. recens wurde die Vibration der Borsten mit einem Laser-Doppler-Vibrometer erfasst.

Ergebnisse

Der Sensor zu Erfassung der elektrostatischen Ladung der Räuber befand sich am Einflugloch des Wespennests, die Wespen konnten frei einfliegen. Die Messungen ergaben, dass die 612 Wespen eine beträchtliche Ladung haben, durchschnittlich 8,81 ± 12,81 pC; ein Wert, der auch bei anderen Landtieren vorkommt. Somit sind Wespen Quellen elektrischer Felder, die von dafür empfänglichen Beutetieren wahrgenommen werden können. Die Raupen (Beute) waren nicht stark geladen im Vergleich zu anderen Tieren ihrer Größe: Die Werte der 28 Tiere von T. jacobaeae ergaben 0,48 ± 1,15 pC, die 38 Exemplare von T. recens 1,64 ± 1,23 pC und die 44 Tiere von A. io -1,67 ± 7,05 pC. Ein Computerprogramm berechnete, dass das elektrische Feld in einigen Zentimeter Entfernung zwischen Räuber und Beute im Bereich von Kilovolt/m liegt. Das Verhalten der Raupen nach einwirken elektrischer Pulse war signifikant verschieden von dem der Kontrolltiere: Die Raupen der beiden Arten T. jacobaeae und T. recens brauchten signifikant länger als die Kontrolltiere, sich zu entrollen und loszulaufen, wenn das elektrische Feld eingeschaltet war. Die Raupen von A. io verbrachten signifikant mehr Zeit mit Schlagbewegungen als die Kontrolltiere und sie Bissen in die Elektrode bei Anwesenheit des elektrischen Feldes. Die elektromechanischen Tests ergaben interessanterweise, dass die Vibrationen von 3 verschiedenen Borsten von T. jacobaeae und T. recens nicht auf die Trägerfrequenz von 180 Hz, sondern auf die 2. Oberwelle von 360 Hz des Flügelschlags der Wespen mit Abwehr reagieren.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse zeigen, dass alle 3 Raupenarten die elektrischen Felder der Raubwespen wahrnehmen können. Das Verhalten der Raupen zeigt, dass dieses elektrische Feld allein ausreicht, eine Abwehrreaktion hervorzurufen. Daher kann man darauf schließen, dass die statische Elektrizität sehr wahrscheinlich ein Auslösereiz für das Erkennen des Räubers ist und als Bedrohung wahrgenommen wird. Das fliegende räuberische Insekt stört das elektrische Feld in seiner Umgebung und liefert dem Beutetier Informationen über die Anwesenheit und die Richtung des Räubers. Außerdem werden die mechanisch empfindlichen Borsten der Raupen durch die elektrostatischen Kräfte ausgelenkt und auf die Frequenz des Flügelschlags des räuberischen Insekts eingestellt. Das heißt, Elektrorezeption allein ist ausreichend für die Erkennung von Anwesenheit, Ort und Flügelschlag des elektrisch geladenen räuberischen Insekts. Die Raupe muss keine eigene Ladung zur Erkennung des Räubers haben. Das weist darauf hin, dass elektrisches Rauschen von Hochspannungsleitungen und elektrischen Geräten negative Wirkungen auf Raupen hat. Man hat beobachtet, dass Raupen in Anwesenheit der hier verwendeten Frequenzen weniger Futter aufnehmen, gestresst sind und ihre Entwicklung beschleunigt wird, was die Fitness und Überlebensrate vermindert.

Mit diesem Experiment wurde die Rolle der Elektrorezeption erstmals bei einem Räuber-Beute-Zusammenwirken bei Landtieren beschrieben (bisher nur bei im Wasser lebenden Tieren), das eröffnet eine neue Forschungsrichtung. Stammesgeschichtliche Analysen ergaben, dass sich die 3 Schmetterlingsarten vor etwa 100 Millionen Jahren, in der mittleren Kreidezeit, getrennt haben. So kann man davon ausgehen, dass auch andere Schmetterlingsraupen und andere Gliederfüßer wie Hummeln, Schwebfliegen u. a. elektrische Felder nutzen. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Raupen nicht unbedingt ein elektrisches Feld erzeugen müssen, um die elektrische Ladung der Räuber erkennen zu können. Diese Studie zeigt auf, dass landlebende Tiere Elektrorezeption zur Erkennung von Räubern nutzen können. Das bedeutet, dass natürliche Elektrizität eine ökologisch wichtige Funktion hat und die Räuber-Beute-Beziehung weiter erforscht werden sollte. (IW)