Author(s):
Hardell L*, Carlberg M.
* Department of Oncology, Faculty of Medicine and Health, Örebro University, Örebro.
Sweden
Published in:
Rev Environ Health 2021 [im Druck]
Published: 15.02.2021
on EMF:data since 26.05.2021
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Keywords for this study:
Risk assessment of nonionizing radiation
Reviews
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Lost opportunities for cancer prevention: Historical evidence on early warnings with emphasis on radiofrequency radiation.

Original Abstract

Some historical aspects on late lessons from early warnings on cancer risks with lost time for prevention are discussed. One current example is the cancer-causing effect from radiofrequency (RF) radiation. Studies since decades have shown increased human cancer risk. The fifth generation, 5G, for wireless communication is about to be implemented world-wide despite no comprehensive investigations of potential risks to human health and the environment. This has created debate on this technology among concerned people in many countries. In an appeal to EU in September 2017, currently endorsed by more than 400 scientists and medical doctors, a moratorium on the 5G deployment was required until proper scientific evaluation of negative consequences has been made (www.5Gappeal.eu). That request has not been taken seriously by EU. Lack of proper unbiased risk evaluation of the 5G technology makes adverse effects impossible to be foreseen. This disregard is exemplified by the recent report from the International Commission on non-ionizing radiation protection (ICNIRP) whereby only thermal (heating) effects from RF radiation are acknowledged despite a large number of reported non-thermal effects. Thus, no health effects are acknowledged by ICNIRP for non-thermal RF electromagnetic fields in the range of 100 kHz–300 GHz. Based on results in three case-control studies on use of wireless phones we present preventable fraction for brain tumors. Numbers of brain tumors of not defined type were found to increase in Sweden, especially in the age group 20–39 years in both genders, based on the Swedish Inpatient Register. This may be caused by the high prevalence of wireless phone use among children and in adolescence taking a reasonable latency period and the higher vulnerability to RF radiation among young persons.

Keywords

asbestos | cancer prevention | DDT | dioxins | early warnings | glyphosate | phenoxyacetic acids | radiofrequency radiation | tobacco

Exposure:

RF, general

EMF:data assessment

Summary

Im Jahr 1969 rief die IARC (International Agency for Research on Cancer) bei der WHO (Weltgesundheitsorganisation) ein Programm zur Bewertung von Krebsrisiken durch Chemikalien ins Leben. Dieses Programm wurde im späteren Verlauf auf chemische Gemische, radioaktive Strahlung und Viren erweitert. Bis zum heutigen Tag hat dieses Programm zu 125 Monographien geführt. Wie die Geschichte zeigt, verstrich in den meisten Fällen eine lange Zeit zwischen den ersten Berichten von erhöhtem Krebsrisiko, bis hin zu Klassifizierung eines Stoffes als krebserregend. Somit wurden Präventivmaßnahmen nicht rechtzeitig ergriffen, was mitunter zu schweren Folgen für die Gesellschaft führte. Die Folgen können sich in Form von erhöhten Fallzahlen von Krankheiten, die zu Leid, Behandlungskosten, Berufsverlust sowie vorzeitigem Tod manifestieren. Falsch-positive Bewertungen von Umwelteinflüssen sind hingegen sehr selten. Aus diesem Grund sollten Frühwarnungen nicht vernachlässigt werden. Im Folgenden diskutieren die Autoren einige historische Beispiele, gefolgt von einem Überblick über die aktuelle Kontroverse von Hochfrequenzstrahlung und Krebsrisiko.

Source: ElektrosmogReport Juni 2021 | 27. Jahrgang, Nr. 2

Study design and methods

Die Autoren zogen historische sowie aktuelle Literatur für diese Publikation zu Rate.

Results

Hinsichtlich spezifischer beruflicher Belastung, beschrieb der englische Arzt Percivall Pott im Jahr 1775 als erster ein erhöhtes Krebsrisiko. Er beobachtete, dass Männer, welche als Schornsteinfeger tätig und dabei Ruß ausgesetzt waren, ein erhöhtes Risiko besaßen, an Hodenkrebs zu erkranken. Dies gilt als erster Bericht über einen Umweltfaktor, der Krebs verursacht. Mehr als 200 Jahre später wurde Ruß im Jahr 1985 von der IARC als humankarzinogen, Gruppe 1, (krebserregend) eingestuft.

Krebs durch Asbest
Ein anderes Beispiel für eine Substanz, deren Toxizität lange ignoriert wurde, ist Asbest. Die ersten Berichte zu negativen Auswirkungen von Asbest gehen ins Jahr 1899 zurück. Südafrikanische Forscher veröffentlichten 1960 einen Bericht, über ein erhöhtes Mesotheliomrisiko nach beruflicher oder umgebungsbedingter Belastung mit Asbest. Der US-amerikanische Arzt Dr. Irving Selikoff gab der breiten Öffentlichkeit einen Einblick über eine eklatant erhöhte Krebssterblichkeit amerikanischer Isolierarbeiter, die Asbest ausgesetzt waren. Dies führte zu einem langjährigen Kampf zwischen einer multinationalen Industrie, welche ihr Produkt verteidigen wollte und öffentlichen Gesundheits- und Aufsichtsbehörden. Im Jahr 1977 wurde Asbest von der IARC als humankarzinogen, Gruppe 1, eingestuft. Beinahe 20 Jahre, nachdem klare Hinweise für das karzinogene Potential von Asbest festgestellt wurden. Jahre der Prävention wurden verschenkt, was letztendlich zu einer erhöhten Mortalität führte.

Krebs durch Tabak
Tabak besitzt eine lange Geschichte von Berichten über dessen schädliche Auswirkung auf die Gesundheit. Es existieren Beobachtungen aus dem 18ten Jahrhundert, welche ein erhöhtes Risiko an Lippenkrebs zu erkranken beschreiben. Eine deutlich erhöhte Inzidenz an Lungenkrebs zu erkranken wurde erstmals 1940 von Müller berichtet. Dieser Bericht, sowie andere Krebsstudien aus den 1940er Jahren in Deutschland und den Niederlanden, wurden weitestgehend ignoriert. In den 1950er Jahren belegten mehr und mehr Studien Gesundheitsrisiken durch Tabakkonsum für unter anderem Lungenkrebs, Herzinfarkte sowie andere Gefäßerkrankungen. Tabak wurde 1986 von der IARC als krebserregend beim Menschen, Gruppe 1, eingestuft. „Greenwashing“ durch die Industrie und ihre verbündeten Experten konterkariert präventive Maßnahmen seit Langem.

Krebs durch DDT
Ein weiteres Beispiel ist das Insektizid DDT (1,1,1-Trichlor-2,2-bis(4-chlorphenyl)ethan). Bereits 1962 wurden Berichte veröffentlicht (torpediert von der Chemieindustrie), dass sich DDT in der Nahrungskette anreichert. In den 1970er Jahren wurde die Verwendung von DDT in den meisten Ländern verboten. DDT wurde 2018 von der IARC als wahrscheinlich krebserregend für den Menschen, Gruppe 2A, eingestuft. Vorher galt eine Einstufung als möglicherweise krebserregend beim Menschen, Gruppe 2B. DDT wird in einigen Ländern immer noch eingesetzt, z.B. zur Malariabekämpfung. Auch bei Phenoxyherbiziden, unter anderem bekannt als Agent Orange, wurden die Frühwarnungen ignoriert. 1977 wurde ein Bericht veröffentlicht, welcher den Zusammenhang von Krebs und dem Versprühen von Phenoxyherbiziden dokumentierte. Diese Herbizide beinhalten 2,4-D (2,4-Dichlorphenoxyessigsäure) und 2,4,5-T (2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure). Diese Stoffe wurden 1977 (2,4,5-T) bzw. 2018 (2,4-D) von der IARC als möglicherweise krebserregend, Gruppe 2B, eingestuft. 2,4,5-T ist jedoch produktionsbedingt mit dem Stoff TCDD (2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin) kontaminiert. TCDD ist eine der giftigsten Chemikalien weltweit. TCDD wurde erst nach 20 Jahren von möglicherweise krebserregend, Gruppe 2B, (1977) nach krebserregend beim Menschen, Gruppe 1, (1997) hochgestuft.

Krebs durch Glyphosat
Ein weiteres Herbizid, dessen krebsfördernde Wirkung verharmlost wird ist Glyphosat. 1970 wurde Glyphosat vom US-Konzern Monsanto als Generalherbizid entwickelt. 1996 kamen gentechnisch veränderte, glyphosatresistente Nutzpflanzen auf den Markt, was den globalen Einsatz verfünfzehnfachte. Glyphosat hat sich zum weltweit am meisten genutzten Pflanzenschutzmittel entwickelt. Im März 2015 wurde Glyphosat von der IARC als wahrscheinlich krebserregend beim Menschen, Gruppe 2A, eingestuft. Außerdem kam die IARC zu dem Schluss, dass es starke Hinweise auf Gentoxizität von Glyphosat gebe. Im Gegensatz dazu ignorierte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ohne Erklärung jeglichen Zusammenhang von Glyphosat und Krebs. Alle Befunde zur krebsfördernden Wirkung in Tierstudien wurden als Zufallsfunde abgetan, mechanistische Belege zur Gentoxizität wurden negiert. 2016 wurde eine Übersichtsarbeit angeblich unabhängiger Wissenschaftler verfasst, welche zu dem Schluss kam, dass es unwahrscheinlich sei, dass Glyphosat ein karzinogenes Risiko beim Menschen darstelle. Während eines Gerichtverfahrens in den USA bezüglich Glyphosatbelastung und Non-Hodgkin Lymphomen wurde aufgedeckt, dass die Autoren nicht unabhängig waren und Monsanto in die Organisation, die Übersichtsarbeit selbst sowie in die Überarbeitung der Übersichtsarbeit involviert war. Tatsächlich wurden die Autoren über die Beratungsfirma Intertek bezahlt. Die Verteidigung ihres Produkts durch das Herunterspielen von Risiken scheint eine von Monsantos Strategien zu sein. Der deutsche Chemieriese Bayer kaufte Monsanto im Jahr 2018. Bisher wurden in drei Prozessen rund 200 Millionen US-Dollar von den Jurys zugesprochen. 2017 verlängerte die EU-Kommission den Einsatz von Glyphosat bis 2022.

Krebs durch HF-EMF
Momentan existiert eine kontroverse Diskussion zwischen dem Zusammenhang von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF) und erhöhtem Krebsrisiko. Bereits 2011 wurde Hochfrequenz von der IARC als möglicherweise krebserregend beim Menschen, Gruppe 2B, eingestuft. Die Einschätzung wurde von Beginn an von der Industrie und voreingenommenen Agenturen heruntergespielt und verharmlost, obwohl sich die Hinweise auf schädliche Auswirkungen häufen. In diesem Artikel beschreiben die Autoren weitere Daten von Hochfrequenz und deren Karzinogenität. Die sogenannte „attributable fraction“ (AF, zuordenbarer Anteil) ist eine Größe in der statistischen Auswertung und gibt die Anzahl der Fälle an, die verhinderbar gewesen wären. Folgende Daten beziehen sich auf Fall-Kontrollstudien dreier Arbeitsgruppen, welche ein signifikant erhöhtes Krebsrisiko (Gliome und akustische Neurinome) nach Belastung mit Hochfrequenz dokumentierten. In der Gruppe mit der längsten Belastung wären 211 Gliomfälle (alle Belastungsgruppen, 4,88%) und 42 Fälle von akustischen Neurinomen (ipsilaterale Belastung, 4,63%) vermeidbar gewesen. Der höchste, vermeidbare Anteil wurde bei ipsilateralem Mobilfunknutzen und Gliomen (6,03%, 150 Individuen) gefunden. Die Arbeitsgruppe beschreibt außerdem steigende Tumorraten unbekannten Typs (D43) im Gehirn oder zentralen Nervensystem, dokumentiert im schwedischen Patientenregister sowie im Register der Todesursachen zwischen 1998 und 2019. Die höchsten Raten (durchschnittliche Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) kamen sowohl bei Männern als auch Frauen in der Altersgruppe zwischen 20 – 39 Jahren vor. Die Wissenschaftler stellen die Hypothese auf, dass die steigende Anzahl von Hirntumoren in dieser Altersgruppe mit der Nutzung von schnurlosen Telefonen korreliert, wenn man eine angemessene Latenzzeit (7 – 9 Jahre bei Gliombildung) einbezieht.

Conclusions

Diese Übersichtsarbeit gibt einen Einblick in verpasste Möglichkeiten zur Krebsprävention am Beispiel von Asbest, Tabak, Pestiziden und nun auch Hochfrequenzstrahlung. Das Krebsopfer sowie dessen Angehörige sind die großen Verlierer in Bezug auf Leid, Lebensqualität und letztendlich verminderte Lebenserwartung. Die Strategie, Zweifel an Krebsrisiken bestimmter Einflüsse zu säen, wurde bereits vor Jahrzehnten etabliert. Nun wird sie von der Telekommunikationstechnologie in Bezug auf Hochfrequenzstrahlung und Risiken für Mensch und Umwelt adaptiert und implementiert. Die Industrie besitzt wirtschaftliche Mittel, Zugang zu Politikern sowie Zugang zu Medien, während besorgte Menschen ungehört bleiben. (RH)